Und dann und wann ein weißer Elefant

Begleiteter Leitungswechsel im Haus Michael von August 2019 bis März 2023

Ja, wir in White Soap City, begann der Schreiner nicht ohne Stolz und berichtete, wie es früher war, als er mit Herrn Mancke, dem architektonischen Gründer der Einrichtung in Weißenseifen, Maß genommen und die Ecken gerundet hatte. Und als er mit Frau Schlösser, der inhaltlichen Gründerin, gemeinsam mit anderen Handwerkern diesen heilpädagogischen Ort mit eigenen Händen geschaffen hatte.

Mit Weitsicht hatten Vorstand und die ehemalige Heimleiterin drei Jahre vor dem anstehenden Leitungswechsel unsere Begleitung angeregt und so waren wir beide, Uta Stolz und Martin Wienert, in die Eifel gefahren und haben mit jedem einzeln gesprochen, mit der Leiterin der Kerzenwerkstatt, mit der Köchin, mit den Erzieherinnen, mit dem Maurer, … unter dem Motto: jeder Stimme ein Ohr!

Neben Wünschen nach größerer Transparenz, klaren Verantwortungsbereichen und einem harmonischeren Miteinander hörten wir zwei Grundtöne: den erfüllenden und den bewahrenden.

Wenn ich morgens auf das Gelände komme, geht mir das Herz auf oder wenn es mir gelungen ist, den Schützlingen einen schönen Tag zu bereiten, fahr’ ich glücklich an Hause.  Dies berührte uns so sehr, dass wir gern halfen, diesen besonderen Werderaum nicht nur für die Schützlinge, sondern auch für die Mitarbeiter:innen in eine tragfähige und nachhaltige Erneuerung zu begleiten.

Gleichzeitig zog das bewahrende FRÜHER wie ein weißer Elefant durch die Straßen von Weißenseifen. In einer Gesamtkonferenz am Anfang des Prozesses haben wir ihn ein letztes Mal gewürdigt, den alten Elefanten, und dann liebevoll an das Mausoleum auf dem Gelände angebunden, wo er über die Toten wachen darf. Diese Bilder, die sich aus den unterschiedlichen Narrationen verdichteten, begünstigten zusammen mit den dynamische graphische Darstellungen einen zugleich luftigen und doch zielgerichteten Prozess.

Wir hoben eine neue Verantwortungsstruktur aus der Taufe, denn die alte Interne Konferenz war wenig akzeptiert und schließlich abgeschafft worden. Die Bereiche der Schützlinge: Die Wohn- und Betreuungsstätten (die Häuser) sowie die Tagesstruktur (Kerzenwerkstatt, Weberei, der Hof Steinich, Garten …) bekamen eigene Teamsitzungen, eine Leitung und eine Geschäftsordnung.

Aus diesen Leitenden zusammen mit der Heimleitung bildete sich zuerst die Steuergruppe, die den Veränderungsprozess verantwortlich trug. Aus dieser Steuergruppe entwickelte sich etwa ein Jahr später der Michaelkreis als verantwortliches Leitungsgremium. Das war kein leichter Prozess. Zum einen drängte der Vorstand zu einer neuen Heimleitung in persona, zum anderen befürchteten Mitarbeiter:innen wieder den Rückfall in eine intransparente Machtstruktur, so wie sie die vormalige Interne Konferenz zum Schluss erlebt hatten.

Martin Wienert begleitete die Leitungssitzungen des Michaelkreises intensiv. In die neuen definierten Verantwortungsaufgaben konnten die Mitarbeiter:innen nur deshalb hineinwachsen, weil die ehemalige Heimleiterin bereit war, Stück für Stück loszulassen. Natürlich ließ sich das Feld nicht überall so bereinigen, dass alle in der Vergangenheit liegende Geschehnisse und Entscheidungen aufgearbeitet werden konnten, denn wir wählten immer den vorwärts gewandten Blick und ließen den Elefanten beim Mausoleum. Es war und ist nicht leicht, zu Gunsten der Vitalisierung der Einrichtung vergangene Unstimmigkeiten für die eigene Biographie verschmerzen zu müssen.

Für die Mitarbeiter:innen gestaltete Uta Stolz in den drei Jahren Fortbildungstage zu den anthroposophischen Konzepten, ausgehend von den Alltagserfahrungen der Menschen. Die unverstellte, tiefe, suchende Spiritualität, die ihr in Haltung, Worten und Wesen dabei entgegenkam, vertiefte ihre Einsicht darin, dass Haus Michael ein Ort für einen modernen Schulungsweg sein könne.

Die Coronazeit brachte das Leben in Haus Michael ins Wanken, einige verließen die Einrichtung. Dennoch bescherte sie uns per Zoom wirksame Sitzungen mit Michaelkreis und Vorstand, in denen ein zukunftsgerichteter gemeinsamer Geist zum Erstaunen aller und für alle greifbar war. Die Hauptaufgabe war es, eine neue Leitungspersönlichkeit und neue Mitarbeiter:innen zu finden. Mutig wurde beschlossen, die Leiterin der Tagesstruktur zu fragen und sie sagte: Ja!

Im Zuge dieses Zusammenschwingens gestaltete der Hof Steinich ein besonderes Treffen mit dem Michaelkreis, das mit einer köstlichen gemeinsamen Mahlzeit endete. Die vormalige Sperrigkeit in der Zusammenarbeit zwischen Haus und Hof gehörte nun ebenfalls der Vergangenheit an. Dies zeigte sich noch deutlicher bei einer zweitägigen Klausur mit Michaelkreis und Hof Steinich ganz am Ende des Prozesses.

Wir nahmen inzwischen einen raschen Wandel wahr: die ehemalige Heimleiterin und eine weitere tragende Persönlichkeit konnten in die wohlverdiente Rente gehen und die neue Heimleiterin entwickelte innerhalb der neuen Leitungsstruktur einen wirksamen eigenen Stil. Dieser Aufwind ins Neue bescherte Haus Michael zum ersten Mal seit langer Zeit genügend Menschen für die viele Arbeit: der nötige Wind unter die Flügel derer, die einen so besonderen Ort gestalten.

@ Uta Stolz und Martin Wienert